In Tejalpa an der Hauptstraße steht der Fruchtverkäufer Hipolito. Jeden Morgen fährt er seinen Holzkarren mit Mangos, Gurken, Papayas etc an den Bürgersteig und steht dann den ganzen Tag im dunstigen Schatten seiner orangefarbenen Plane und vercheckt Fruchtsalate. Hipolito hat acht Jahre im Knast gesessen, weil er seine Alte abgeknallt hat. Heute ist er um die vierzig. Mit seinem dünnen Oberlippenbart und den eng stehenden Augen erinnert er manchmal an eine gut gebräunte Ziege.
Ab Mittag ist Hipolito angetrunken, hat das aber ganz gut unter Kontrolle. Von Zeit zu Zeit haut er sich einfach einen Schluck 96%-igen Zuckeralkohol in die Cola, drückt eine Limette drüber und haut sich mit der Machete ein Stück Eis zurecht. Schmeckt im Grund gar nicht so schlecht, sein Cocktail. Kann ich sagen, denn Hipolito teilt gerne. Am Nachmittag belagern den Stand mindestens ein halbes Dutzend Säufer wie Straßenköter eine läufige Hündin. Das ganze versoffene Rudel hockt dann auf Hockern um den Fruchtstand und vertreibt die Kunden.
Da ist der uralte Genaro, der mir jedes Mal auf der Straße „Guerote“ zuruft, „Großer Weißer“. Genaro ist glaub ich schwul und meint dann im Vollsuff manchmal so Sachen wie „Großer Weißer – du und ich, wär das nicht möglich?“, während Hipolito im Hintergrund zwinkernd einen Luftblowjob gibt, mit Faust und Zunge.
„Naja, Genaro, wenn du 80 Jahre jünger wärst und nicht sone hässliche Fresse hättest, könnten wir wirklich mal drüber reden.“
Dann hängt da noch der Pilot rum, ein zahnloser, verrunzelter Alter, der immer in Stewarduniform auftritt, mit Kapitänsmütze und Weste, ganz schräger Kerl, haut immer sautrockene Sprüche raus.
Roger aus Veracruz, Vokuhila, fehlender Schneidezahn, vorlauter Prolo mit Sonnenbrillenkomplex, Frauenhinterherpfeifer und Sabbermexikaner, hab ich letztens erst im Armdrücken besiegt.
Timoteo, der Gitarrist. Gegen Abend kehrt er von seinen Streifzügen durchs Viertel zurück, ein Ständchen hier, einmal Happy Birthday da, und dann sitzt er neben Hipolitos Fruchtstand, trinkt Mezcal und singt den Himmel an wie ein Wolf, die untergehende Sonne im Gesicht.
David, my homie from 18th Street Gang. Der El Salvadorenier mit der tätowierten 18 im Genick, 12 Jahre Los Angeles, kriegt für Geld alles her.
Mein Lieblingssäufer aber ist Chipotle, ein dicker Wuschelkopf mit Mexikanerbart. Der Name ist ihm geblieben, als er mich mal bat, Deutsch zu reden. Als erstes wollte er wissen, wie man „joto“ übersetzt und ich meinte „Schwuchtel“. Da fing der alte Pilot neben ihm an zu kichern und lachte: „Hahaha, Chipotle!“
Chipotles, geräucherte Chilis, falsch verstanden aber jetzt labert ihn hier jeder auf der Hauptstraße mit Chipotle an. Chipotle ist eigentlich Schreiner, ab und zu liest er mich auf der Straße auf, im Vollsuff, und fährt dann schweigsame Runden durchs Viertel, hoch zu der Kirche am Markt, wo die verhärmten Indias Hängematten und Sombreros verkaufen, vorbei an den bunten Eckläden, an aufgehängter Schweinehaut, an dem Indio aus Yautepec, der auf dem Boden sitzt, mit einem Häufchen Knoblauch vor sich… die armen, ausgebluteten Straßen des Barrios, wo die ewigheiße Jahreszeit der Sierra herrscht und Karten spielt mit dem schwülen Mittagswind.
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Hipolito, der Fruchtverkäufer, ist jedenfalls als richtig cooler Mensch wieder aus dem Knast gekommen. Dem Piloten schiebt er ein Stuhlkissen auf den umgedrehten Eimer, den Trinkern gibt er ab Mittag Zuckeralk aus, und abends verteilt er unter den letzten verbliebenen Säufern die übrig gebliebenen Tüten mit Ananasscheiben und Mango-Chili.
Letzten Sonntag ging dann alles schief. Eigentlich wollte ich nur kurz zur Comer, zum Supermarkt, und bisschen Käse und Schinken holen. Sonntag heisst Familienausflug. Der Plan war also Sandwiches machen, die Famile ins Auto packen und einfach drauflos fahren, irgendwo in einem schönen Dorf halten, den Zócalo besichtigen, durch die Straßen streunen, paar lokale Spezialitäten probieren.
Aber dazu musste ich erstmal am Früchtestand vorbei.
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Roger, der Vokuhila, hält sich schon an Hipolito fest und der schwule Genaro döst in der Morgensonne. Ein knappes „Buenos días“ und ich bin vorbei. Auf dem Rückweg steht dann Chipotle da, mit einem löchrigen „Acapulco“-Shirt über dem Ranzen. Er hält mich am Ärmel fest und sagt:
„Schau mal, Guero, was ich heute feines dabei hab.“
Er greift in einen Stoffbeutel und holt einen Tonkrug hervor.
„Mezcal aus Juchitán. Hat meine Frau aus Oaxaca mitgebracht. Heut hat sie nicht aufgepasst und ich konnte ne Flasche rausschmuggeln.“
Ich schau mir das Ding an. Ein bauchiges, lackiertes Tongefäß, mit einem Wachspfropfen verschlossen. Interessant sieht das aus. Mal sehen wie´s schmeckt, denke ich und sehe zu, wie Chipotle den Korken raushebelt.
Hipolito teilt Plastikbecher aus, Chipotle den Mezcal. Was für ein Rachenputzer! Da ist es wieder, das Feuer der Sierra Madre, der wilde Geruch des Dschungels – Palmen, Lianen, Macheten und düstere Mayagötter. Für einen Moment sind alle wie benommen. Ich denke kurz an die Einkaufstüte in meiner Hand und an den Familienausflug, da schenkt Chipotle schon die nächste Runde aus. Der Morgen glüht auf, Roger fällt um, dafür kommt Genaro wieder zu sich und beginnt, unverständliches Zeugs zu grölen.
„Halt´s Maul, jetzt.“, zischt Hipolito, „Du vertreibst noch die Kunden.“
Ich stell die Tüten erstmal ab.
Eigentlich wollte ich mich schon immer mal so richtig eingehend mit Chipotle unterhalten.
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Drei Stunden später herrscht Trubel am Fruchtstand. Timoteo spielt Gitarre, Roger tanzt und der Jarocho, der alte Neger, singt mit melodischem Bass von den Stränden von Veracruz. Ich will mich zum tausendsten Mal verabschieden, werde zum tausendundersten Mal auf das nächste Glas eingeladen, die Flasche wird und wird nicht leer, da packt mich Chipotle am Ärmel und stellt fest: „Wir fahren jetzt ne Runde.“
Grad im Wegfahren seh ich noch meine Frau, will aussteigen, aber Chipotle beschleunigt und wir fahren los, wieder seine lange Runde durch Tejalpa.
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Klar war das Nachhausekommen ein Stress. Klar gab´s erstmal Anschiss von der Alten. Hat der Mezcal aber vielleicht geil geschmeckt! Ich hau mich auf die Matratze und penn weg.
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Mitternacht. Ich stehe mit einer Stuhllehne in der Hand im Wohnzimmer.
Frau: „Mann, das ist doch nur ein Stuhl!“
– „Hä?“
„Du bist grad aufgestanden, hast den Stuhl zerlegt und geschrien: Wo sind die Drogen?!“
Ich geh pissen.
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Am nächsten Morgen bleibt der Platz von Hipolito leer. Später treffe ich Chipotle auf der Straße: „Hipolito haben sie gestern Abend eingesammelt und zum Entzug eingewiesen. Der ist jetzt erstmal drei Monate weg vom Fenster. Mindestens.“
Oh, Mezcal.
Verdammter Mezcal…